Zum Thema Grundeinkommen

International Money Pile in Cash and CoinsManchmal ist es wirklich spannend, was für Zufälle es gibt. Im Skiurlaub habe ich mit Kollegen das Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“ diskutiert. Wir unterhielten uns über den Sinn, die Machbarkeit, die Struktur und die Höhe der Entschädigung. Erstaunlicherweise kamen wir dabei ziemlich genau mit dem Überein, was ein paar Tage später auch das SF ausgestrahlt hat.. Unserer Meinung nach sollte das bedingungslose Grundeinkommen 2500.- Franken pro Monat betragen, wobei Krankenkasse und AHV-Beiträge direkt berücksichtigt werden. Die Grundversicherung der Krankenkasse wird direkt vom Auszahlungsbetrag abgezogen, für die AHV sollte die Mindestgrenze auf 30’000.- angehoben werden, um das Ganze möglichst unbürokratisch und effizient gestalten zu können. Mit einem Einkommen von 30’000.- sind keine grossen Sprünge möglich, aber es ist möglich davon zu leben. Und selbstverständlich darf man weiterhin arbeiten und entsprechend dazu verdienen.

Volkswirtschaftlich betrachtet würde das vermutlich bedeuten, dass das Lohnniveau mittelfristig um ca. 2500.-/Monat sinkt, auch wenn die Anpassung einige Zeit dauern dürfte.

Selbstverständlich ist und bleibt das grosse Thema die Finanzierung dieser Auszahlungen nebst einer genauen Definition, wer das Einkommen erhalten darf. Alle in der Schweiz wohnhaften Personen, alle Personen mit Schweizer Pass oder Aufenthaltsbewilligung Typ XXX oder alle AHV-pflichtigen Personen?

Die Finanzierung wird sicherlich nicht einfach zu regeln sein, jährlich entstehen Kosten von etwa 210 Mrd. Franken (7 Mio. Bürger * 2500.- * 12). Ein Teil kann via Einsparungen finanziert werden, ein Teil via die obsolet gewordenen Krankenkasse-Prämienverbilligungen und ein Teil muss wohl über Steuererhöhungen oder Umteilung von Finanzen erwirtschaftet werden.

Noch erstaunlicher finde ich, dass es zu diesem Thema sogar bereits eine politische Initiative gibt, die in eine ähnliche Stossrichtung geht. Der Initiant Daniel Häni argumentiert in eine ähnliche Richtung mit einem Grundeinkommen von 2500.- für Erwachsene und 1250.- für Kinder. Allerdings will er die Finanzierung über die MWSt lösen, was meiner Meinung nach nicht ideal ist weil die MWSt-Erhöhung die Produkte verteuert und die durch das Grundeinkommen gewonnen Kaufkraft wieder aufhebt. Allerdings wäre die MWSt im Vergleich zu einer normalen Steuererhöhung viel verbrauchsorientierter und einfacher zu erheben, was wiederum dafür spricht.. verzwicktes Thema. So oder so bleibt auch bei Häni eine Finanzierungslücke von 30 Mrd. bei Kosten von ca. 200 Mrd., die durch Steuern eingetrieben werden müssen.

SF ECO zum Thema Grundeinkommen, Beginn bei Minute 12
SF Forum Diskussion
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ECO vom 18.04.2011

Übrigens ist die Idee einer „negativen Einkommenssteuer“ nicht wirklich neu, bereits in den 40ern hat sich Milton Friedmann für ein ähnliches Konzept wie das Grundeinkommen ausgesprochen.

One comment

  1. Gero Jenner says:

    Uns geht die Arbeit aus! Geht uns die Arbeit aus?

    von Gero Jenner (6. 10. 2011; aktualisiertes Original unter:
    http://www.gerojenner.com/portal/gerojenner.com/Uns_geht_die_Arbeit_aus!_Geht_uns_die_Arbeit_aus.html)

    Während der vergangenen zwei Jahrhunderte wurden die Bürger Europas regelmäßig von fixen Ideen heimgesucht. Man darf durchaus von Anfällen geistiger Verwirrung sprechen, deren Auswirkungen teils verhängnisvoll waren. Eine solche Idee griff gegen Ende des 18. Jahrhunderts um sich. Sie hieß „Mangel an Lebensraum“. Die europäischen Nationen litten auf einmal an Platzangst. Jede fühlte sich innerhalb ihrer Grenzen bedrängt. Der Lebensraumvirus verführte die Staaten Europas zunächst dazu, auch den damals noch nicht kolonialisierten Teil der Welt unter die eigene Herrschaft zu bringen. Als es dann draußen nichts mehr zu erobern gab, fielen sie im Ersten Weltkrieg übereinander her.

    Diese fixe Idee hat unermesslichen Schaden angerichtet, aber den Zeitgenossen leuchtete sie ein. Kaum jemand stellte sie damals ernsthaft in Frage. Heute leiden wir wieder an einer fixen Idee, und – genau wie damals – scheint es aniemand zu bemerken. Diese Idee betrifft die Arbeit. Seit einigen Jahren ist von allen Seiten zu hören, die Erwerbsarbeit käme uns abhanden.

    Wie und warum kommt es zu derartigen Fieberanfällen und Trübungen des kollektiven Bewusstseins? Werden die Menschen von dem Krankheitserreger spontan angefallen, oder gibt es lenkende Kräfte, die an der Verbreitung von Wahnvorstellungen unmittelbar interessiert sind? Im Hinblick auf die Idee vom angeblich fehlenden Lebensraum, sind diese Interessen im Nachhinein klar zu benennen. Der Historiker Eric Hobsbawm gibt ihnen Gesicht und Namen. Industrie und Militärapparat sahen in Krieg und Expansion ein willkommenes Mittel, um ihren Markt und ihren Herrschaftsbereich auszuweiten.

    Wer steckt aber hinter der fixen Idee, dass uns die Erwerbsarbeit ausgehen werde? Bevor wir dieser beunruhigenden Frage nachzuforschen versuchen, lohnt es sich einen kurzen Blick auf die Fakten zu werfen.

    Die Fakten
    In England hat sich dank der industriellen Revolution die Bevölkerung zwischen 1800 und 2010 von 8 auf ca. 60 Millionen vergrößert. Ein Agrarland konnte nur relativ wenigen, die Einführung von Maschinen nahezu achtmal so vielen Menschen Arbeit und Einkommen bieten. In den USA gab es um 1800 gerade 4 Millionen Menschen, heute sind es etwa 309 Millionen. Die gleiche Entwicklung fand auf dem Territorium des heutigen Vereinten Deutschlands statt. Um 1800 konnte das Land beim damaligen Stand der Technik nur eine Bevölkerung von etwa 20 Millionen Menschen ernähren (in den Jahrzehnten davor war es in ganz Europa noch immer zu Hungersnöten gekommen!). Heute sind es ca. 82 Millionen, und sie leben mit einem unvergleichlich höheren materiellen Komfort als ihre Vorfahren vor zweihundert Jahren. Der stetigen Expansion von Bevölkerung, Einkommen und Arbeit setzt nur die Belastbarkeit der Natur eine Grenze.

    Die Industrialisierung – der Prozess einer systematischen Ersetzung menschlicher Arbeit durch Maschinen und Automaten – hat sich historisch als das größte jemals verwirklichte Projekt der Arbeits- und Einkommensbeschaffung erwiesen. Nach 1950 gelang es sogar, auch die Frauen, also eine ganze Hälfte der Bevölkerung, die bis dahin nur unbezahlte Arbeit in der Familie geleistet hatte, weitgehend in die Erwerbsarbeit einzugliedern. Wie konnte sich angesichts dieser überwältigenden historischen Evidenz die fixe Idee ausbreiten, dass Maschinen und Automation die Erwerbsarbeit in großem Umfang vernichten?

    Eine richtige Beobachtung – und eine falsche Folgerung
    Die Idee ist keinesfalls neu. Im Gegenteil war sie von Anfang an eine ständige Begleiterin der industriellen Entwicklung. Denn jeder konnte sich ja durch den Augenschein überzeugen, dass Maschinen und technischer Fortschritt in einem fort vorhandene Berufe verdrängen. So wurde z.B. die Bauernschaft seit Beginn der Industrialisierung erst langsam, dann schließlich radikal und in immer schnellerem Tempo dezimiert. Waren um die Mitte des 18. Jahrhunderts noch an die 90 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig, so hat sich das Verhältnis zweihundertfünfzig Jahre danach nahezu umgekehrt: Eine ungleich größere Nahrungserzeugung für eine vielfach größere Bevölkerung findet in unserer Zeit nahezu ohne Menschen statt. Bauern machen in den fortgeschrittensten Staaten nur noch einen verschwindenden Teil der Erwerbstätigen aus (in Deutschland gerade noch 2,8%). Traktoren, Melk-, Mäh- und eine ganzer Park weiterer Maschinen haben die Vorgänge so weit automatisiert, dass Menschen in der Landwirtschaft kaum noch benötigt werden.

    Sich selbst als weitsichtig einschätzende Unheilspropheten hätten um die Mitte des 18. Jahrhunderts gute Gründe gehabt, den Untergang der Welt zu beschwören. Wenn statt 90% der Erwerbstätigen irgendwann einmal nur noch 2,8% in der Landwirtschaft arbeiten würden, wo sollten dann all die Menschen noch Arbeit und Einkommen finden. Man würde sie schlicht nicht mehr brauchen. Die Maschinen hätten sie verdrängt.

    Wie gesagt, solche Kassandrarufe gehören seit langem zur ideologischen Geräuschkulisse, zumal der gleiche Vorgang der Arbeitsvernichtung ja in den verschiedensten Bereichen zu beobachten war. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die Handweberei noch Hunderttausende von Menschen beschäftigt. Doch in England waren die Maschinen bereits erfunden, die in kurzer Zeit die meisten von ihnen um Arbeit und Einkommen brachten. Überall flackerten die Aufstände hungernder Weber auf. In England zerschlugen die Ludditen die Webmaschinen, und die Regierung setzte das Militär gegen sie ein. In Deutschland wiederholte sich dieses Drama, das Gerhart Hauptmann dann in einem die öffentliche Meinung aufrüttelnden Stück noch einmal aufleben ließ. Auch damals hieß es, die Maschinen würden den Leuten Arbeit und Leben nehmen.

    Und die Weber waren nicht die einzigen Leidtragenden. Kutschen und Kutscher wurden durch Eisenbahnen und schließlich durch Autos verdrängt. Zahllose Pferdezüchter und Kutschenhersteller in ganz Europa fanden keine Abnehmer mehr. Und das Handwerk wurde überhaupt zu einer aussterbenden Spezies, weil die industrielle Produktion die Waren so viel billiger, schneller und mit geringerem Aufwand erzeugen konnte. Nicht zuletzt fand in den neuen Industrien selbst dieser Prozess der dauernden Vernichtung obsoleter Verfahren statt. Das Ruhrgebiet war einst eine blühende industrielle Zone, heute stehen dort nur noch rostende Ruinen aus gar nicht so ferner Vergangenheit.

    Ist die Zerstörung der Erwerbsarbeit durch Automatisierung körperlicher und geistiger Tätigkeiten also doch ein Faktum?

    Die schöpferische Zerstörung
    Ja und nein. Der Vernichtungsprozess ist real, und für die Betroffenen, mochten es nun Bauern, Kutscher, Handwerker oder die Arbeiter sterbender Industriezweige sein, jedes Mal eine Katastrophe, die sie um Arbeit und Einkommen brachte, denn damals fing sie noch keine Sozialversicherung auf. Viele von ihnen vegetierten so erbärmlich dahin, wie es Karl Marx und Gerhart Hauptmann geschildert haben. Doch dies ist nur die Rückseite der Medaille. Die andere hat Joseph Schumpeter treffend mit dem Wort der „schöpferischen Zerstörung“ beschrieben. Während der vergangenen zweihundert Jahre fand ein andauernder Prozess der Zerstörung statt: Bestehende Berufe wurden mitsamt den dadurch erzeugten Einkommen vernichtet – aber zur gleichen Zeit wurden sehr viel mehr neue Berufe und Einkommen geschaffen. Deswegen konnte die Bevölkerung ständig wachsen, und noch dazu ihr materielles Lebensniveau stetig gehoben werden.

    Keine Gesellschaft hätte den Prozess der Zerstörung ertragen, hätte eine genau entgegengesetzte Entwicklung für viel mehr als einen bloßen Ausgleich gesorgt. Die Bauernschaft schmolz bis auf einen kümmerlichen Rest dramatisch zusammen, aber für jeden Bauern, dessen Arbeit und Einkommen vernichtet wurden, gab es bald ein Vielfaches an Personen, die in neu entstandenen Berufen Arbeit und Einkommen fanden.

    Zwischen Zerstörung und Kreation von Berufen besteht Unsymmetrie
    Der Prozess der Zerstörung liegt vor unseren Augen. Wir sehen, dass hier oder dort schon wieder eine Fabrik die Tore schließt und Tausende von Menschen arbeitslos werden. Selbst unter den Bedingungen eines Sozialstaats ist das für die Betroffenen eine schwere Belastung. Der schöpferische Prozess aber offenbart sich erst im Nachhinein. Keiner der gegen Ende des 18. Jahrhunderts aus seinem angestammten Beruf verdrängten Menschen hätte damals voraussehen können, dass es zwei Jahrhunderte später einmal Tätigkeiten wie die eines Programmierers, Automechanikers oder Flugkapitäns geben würde; ja, kaum einer hätte vorausgesehen, dass schon in den nächsten Jahrzehnten große Textilindustrien mit Zehntausenden von Arbeitern aus dem Boden gestampft werden würden. Nur in der Rückschau entschleiert eine ehemalige Zukunft ihre Geheimnisse – solange sie vor uns liegt, ist sie ein Buch mit sieben Siegeln. Daher die grundlegende Unsymmetrie unseres Urteils über den Prozess der schöpferischen Zerstörung. Die Zerstörung sieht jeder, den schöpferischen Prozess mit seinem Potential an neuen Berufen können wir nur erahnen. Mit Sicherheit wissen wir darüber erst im Rückblick bescheid. Man kann es auch drastischer ausdrücken: Um die Zerstörung zu erkennen, braucht man keinen Verstand, sie ist auf den ersten Blick sichtbar, um den langfristigen Prozess zu erkennen, braucht man genau das: ein Minimum an Verstand und historischem Bewusstsein.

    Wie kam es zur Expansion der Erwerbsarbeit?
    Lassen wir die Geschichte der vergangenen zweihundert Jahre Revue passieren, dann liegt zwar das Faktum einer fortwährenden Expansion von Arbeit und Einkommen offen vor unseren Augen, aber damit ist noch nichts über den Mechanismus gesagt, der dieser Expansion zugrunde liegt und sie ermöglicht. Am einfachsten lässt er sich am Beispiel der Landwirtschaft aufzeigen. Hatte früher ein einzelner Bauer gerade seine eigene Familie und aufgrund der beiden Zehnten, die er für Kirche und Staat abgeben musste, maximal noch ein bis zwei weitere Personen ernährt, so unterhalten die heutigen Bauern mit ihrem Anteil von gerade 2,8 Prozent der Erwerbstätigen jeweils nicht weniger als etwa 57 andere Menschen. Würde dieser Bauer seine Machtstellung missbrauchen (denn ohne Nahrung gibt es keine Gesellschaft), indem er den ungeheuren Produktivitätszuwachs für sich allein beansprucht, dann würden die übrigen 57 als Hilfskräfte bei ihm arbeiten müssen. Unter diesen Umständen hätte sich nichts geändert und keinen Fortschritt gegeben. Nur weil die Entwicklung auf völlig andere Art verlief, werden wir alle ernährt und können uns noch Hunderte von zusätzlichen Produkten leisten. Diese andere Entwicklung fand deshalb statt, weil der einzelne Bauer im Schnitt nicht mehr als die 57 von ihm erhaltenen Personen verdient. Diese stellen nun alle möglichen Dinge her, für die der Bauer Verwendung hat. Im Gegenzug für Fleisch und Getreide liefern sie ihm landwirtschaftliche Geräte und Haushaltsmaschinen, Textilien, Heilmittel gegen Krankheiten und tausend andere Dinge.

    Der Vorgang hat sich tausendfach auch außerhalb der Landwirtschaft abgespielt. Wurden die ersten Autos noch unter Einsatz vieler Beschäftigter hergestellt – mehr als zwanzig Leute wurden ursprünglich gebraucht, um ein einziges Auto pro Jahr zu erzeugen, so braucht man heute weniger als eine Person, um zwanzig Autos pro Jahr herzustellen. Die Produktivität der Autoerzeugung ist dabei steil in die Höhe geschnellt. Wenn von den ursprünglich zwanzig Arbeitern, die ein Fahrzeug pro Jahr herstellten, nur einer übrig bleibt, der pro Jahr zwanzig Autos verfertigt, so hat die Arbeitsproduktivität sich um das Vierhundertfache erhöht!

    Das Geheimnis liegt in der Verbilligung
    Das Geheimnis der Jobmultiplikation während der vergangenen zweihundert Jahre liegt genau hier. Der Wettbewerb hat die Menschen immer produktiver gemacht. Ihr Einkommen aber ist diesem Zuwachs nicht gefolgt. Es ist bei den Arbeitern in einer Autofabrik eben nicht um den Faktor vierhundert gestiegen. Stattdessen wurden die erzeugten Produkte immer billiger – und damit stieg das Einkommen der gesamten Bevölkerung, weil sich ihre Kaufkraft entsprechend vermehrte. Hier stoßen wir unmittelbar auf das Geheimnis der Jobkreation. Die Verbilligung der Produkte schafft einen Kaufkraftüberhang, der von den vorhandenen Produkten nicht absorbiert wird. Die Menschen können daher neue Produkte erwerben. Die aber wurden und werden wie durch einen Zauberstab genau dadurch ins Leben gerufen. Während die Autofirmen Menschen en masse entlassen, werden zur gleichen Zeit Hunderte von neuen Berufen geschaffen: Arbeiter und Angestellte in Computer- und Handyfirmen, Informatiker, Logistiker um nur einige zu nennen. Die Anbieter von neuen Produkten, also die neuen Jobs, sprießen überall aus dem Boden, wenn sie durch neue Kaufkraft hervorgelockt werden (Die Arbeitslose Gesellschaft, S. Fischer 1997 beschreibt den Mechanismus im Detail).

    Selbst Krisen ändern nichts an der Logik der Jobvermehrung
    Während der letzten zweihundert Jahre hat der Zauberstab seine magische Wirkung auf eklatante Weise bewiesen. Wer das Ende der Erwerbsarbeit aufgrund von maschineller Automation beschwört, spricht nicht über diese Welt, sondern über eine andere, die allein in seinem Kopf existiert. Selbst wenn wir die Arbeitslosigkeit in ihrer krassesten Form in das Gesamtbild einbeziehen, ändert sich der allgemeine Trend nur unwesentlich. Im Jahr 1933, als die Große Depression in den Vereinigten Staaten ihren Höhepunkt erreichte, gab es Arbeit und Einkommen nur noch für 37 Millionen Amerikanern – 13 Millionen, also knapp jeder Vierte der insgesamt 50 Millionen arbeitsfähigen Amerikaner, hatten ihre Arbeit verloren (bei einer damaligen Gesamtbevölkerung von ca. 123 Millionen). Doch im Jahr 1800, als die industrielle Entwicklung gerade begann, lag die Zahl der Erwerbstätigen unter 2 Millionen (das Land ernährte zusammen mit seinen Ureinwohnern gerade einmal 4 Millionen Menschen). Bevor die ersten europäischen Siedler den nordamerikanischen Kontinent übernahmen, hatte überhaupt nur eine Handvoll von Ureinwohnern dort Platz gefunden, weil Jäger und Sammler gewaltige Territorien zum Überleben benötigen. Erst der zunehmende technische Fortschritt machte es möglich, dass das Land immer neue Ströme von Siedlern aufsaugen und alle auch mühelos ernähren konnte. Selbst 1933, am Scheitelpunkt der Massenarbeitslosigkeit, hat die industrielle Transformation immer noch die Zahl der Menschen in Arbeit und Einkommen um den Faktor 18 vermehrt (bei Vollbeschäftigung wäre es der Faktor 25 gewesen), wenn man diesen Zeitpunkt mit dem Startpunkt der industriellen Entwicklung um 1800 vergleicht.

    Wie blind muss man für die Wirklichkeit sein, um angesichts solcher Fakten weiterhin an das Märchen zu glauben, die Ersetzung von menschlicher Arbeit durch die Maschine würde einen galoppierenden Arbeits- und Einkommensverlust bewirken? Der Unfug wurde allerdings mit großem Erfolg verbreitet, so von Martin und Schumann in der Globalisierungsfalle. Und seit Jeremy Rifkin, dieser Meister der Halbwahrheiten, das Ende der Arbeit in die Welt posaunte, hat der Wahn immer weitere Kreise gezogen.

    Wenn das System aus dem Tritt fällt
    Doch gerate ich jetzt nicht selbst in Gefahr, der Schönfärberei bezichtigt zu werden? Sind wir nicht gerade im Begriff, in eine furchtbare Krise zu schlittern, die sehr wohl Arbeit und Einkommen in großem Umfang vernichten könnte? Leidet nicht Deutschland an knapp drei Millionen Arbeitslosen, steigt deren Zahl nicht in den Ländern der südlichen Peripherie stetig an? Und muss Präsident Obama nicht um seine Wiederwahl fürchten, weil die amerikanische Arbeitslosigkeit den unerhörten Wert von 10% erreicht?

    Gewiss. Das sind gefährliche Gegenbewegungen – wir kennen sie schon aus den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und deshalb ist es von größter Bedeutung, die wirklichen Ursachen beim Namen zu nennen. Nicht die wachsende Produktivität der Arbeit und ihre Ersetzung durch Maschinen sind hierfür verantwortlich, sondern wie schon in den Dreißiger Jahren geht dieses Unheil auf einen ganz anderen Missstand zurück: eine Störung und ein Boykott des Systems. Die Regeln, unter denen sich die Vermehrung von Arbeit und Einkommen mittels Maschinen und Automation allein zu entfalten vermögen, sind heute wie damals teilweise außer Kraft gesetzt.

    Ich sagte schon, dass der einzelne Bauer, der in Deutschland heute ca. 57 Menschen ernährt, im Schnitt nicht mehr als das Durchschnittseinkommen aller übrigen Deutschen bezieht. Für den ungeheuren Produktivitätsfortschritt, den er durch den Einsatz moderner Technik erzielen konnte, wird er also nicht speziell belohnt. Statt dass sich sein Einkommen erhöhte, verbilligt er die von ihm erzeugten Produkte und erhöht dadurch das Einkommen aller Deutschen (aufgrund der dadurch ermöglichten Kaufkraftsteigerung).

    Diese Verbilligung und die ihr entsprechende Kaufkrafterhöhung sind die Bedingung sine qua non für die Funktionsfähigkeit Systems. In der Landwirtschaft, im Gewerbe, im Handel, in der industriellen Massenproduktion, überall steigt die Produktivität, die Preise fallen, die Kaufkraft der Menschen erhöht sich und damit die Nachfrage nach neuen Produkten. Das ist die Voraussetzung für die stete Vermehrung von Arbeit und Einkommen. Wenn diese Bedingung außer Kraft gesetzt wird, dann bricht die Kurve ein. Es kommt zu einer krisenhaften Entwicklung: zu Arbeitslosigkeit und Einkommensverlusten.

    Das System funktioniert nicht, wenn immer mehr tote Gewichte an der Realwirtschaft hängen
    In China, wo die Zinsen für die Aufnahme von Investitionskapital gegen Null tendierten, wo Dividende äußerst niedrig waren und Aktienspekulationen und Mieten wenig Geld einbrachten, fand der oben beschriebene Prozess der Verbilligung und Kaufkraftsteigerung in größtem Maßstab statt. Daher der ungeheure Aufschwung der dortigen Wirtschaft (das muss allerdings nicht mehr lange dauern). Bei uns hingegen wird durch Zinsen, Dividende, Aktien- und andere Formen der Spekulation immer mehr Einkommen aus der Realwirtschaft abgesogen. Längst schon verfügt ein kleiner Teil der Bevölkerung (zwischen 5 und 10%) über den größten Teil des Volksvermögens. Der von hier ausgehende Sog verhindert die weitere Verbilligung der Produkte und die Bildung eines Kaufkraftüberhangs, der neue Arbeit und Einkommen hervorbringt. Die großen Finanzjongleure betätigen sich wie moderne Raubritter und Wegelagerer. Sie lähmen den Güterverkehr, sie leben parasitisch auf Kosten der Allgemeinheit. Sie hängen als totes Gewicht an der Wirtschaft.

    Unter diesen – und nur unter diesen Bedingungen – wird Automation tatsächlich zum Arbeitskiller, dann nämlich, wenn diese eben nicht zur Verbilligung der Produkte führt, sondern vorrangig den Zweck verfolgt, Geld, das vorher in Löhne floss, in Investitionszinsen und in Dividende für Kurssteigerungen umzuleiten. Unsere Wirtschaft leidet an einem gewaltigen Wasserkopf an Geldkapital, das immer weniger in der relativ gewinnarmen heimischen Realwirtschaft investiert wird. In breitem Strom fließt es stattdessen in Schwellenländer und in noch höherem Maße in den unproduktiven Zweig der Finanzwirtschaft, weil dort mit Geld noch sehr viel mehr Geld gemacht werden kann. Es ist dieser gewaltige Geldfluss weg von der Realwirtschaft, hinein in die Finanzspekulation (Aktien-, Devisen-, Rohstoff- und Derivatenhandel), der Arbeit und Einkommen zunehmend einschnürt und dann in einer Krise (wo das Geld sich plötzlich ängstlich verbirgt) beide in großem Maßstab vernichtet.

    Ein amerikanischer Notenbankchef redet Klartext
    Im vergangenen Jahrhundert ist es schon einmal zu einer solchen Konzentration der Einkommen und Vermögen gekommen, und zwar in den USA im Laufe der zwanziger Jahre. Die Folge war die größte Arbeitslosigkeit und Not in der Geschichte des Kontinents. Marriner Eccles, späterer Notenbankchef und damit zweitwichtigster Mann nach dem damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, äußerte sich darüber in klassischer Weise:

    „Bis 1929 und ’30 /also bis zum Beginn der Wirtschaftskrise/ hatte eine gewaltige Saugpumpe einen zunehmenden Anteil des erzeugten Reichtums in wenige Hände umgeleitet… und so die Kaufkraft aus den Händen der Mehrheit genommen…“

    Der Notenbankchef wusste, wovon er sprach. Er selbst gehörte der Schicht an, die er auf so offene Art kritisierte. Dennoch wurde auch zu seiner Zeit von der angeblich verhängnisvollen Wirkung der Automation gefaselt. Auch Jahrzehnte danach störte sich keiner daran, dass vor und nach den dreißiger Jahren die Ablösung von menschlicher Arbeitskraft durch die Maschine niemals eine solche Wirkung ausgeübt hatte. Erst jetzt, da sich die Massen in New York und in den übrigen Großstädten der USA zum Aufruhr formieren, wird die von einem amerikanischen Notenbanker so deutlich benannte aber danach wieder tabuisierte Wahrheit erneut ans Licht gebracht: Wall Street ist zum Symbol für einen räuberischen Reichtum geworden.

    Auch Auslagerung hat Arbeit und Einkommen vernichtet
    Doch nicht allein die Umleitung eines immer größeren Geldvolumens in die Finanzwirtschaft ist für das Übel verantwortlich. Das trifft auch auf eine verfehlte Politik der Globalisierung zu, die seit Beginn der 90er Jahre die industrielle Basis der frühen Industriegesellschaften zunehmend unterspült: Mehr und mehr Industriezweige wurden nach Asien ausgelagert. Zurück bleiben einige – inzwischen auch schon bedrohte – Spitzentechnologien und ein Dienstleistungssektor, dessen Leistungen nur zu geringem Teil exportfähig sind. England, wo dieser Prozess weit früher einsetzte, war einst der Pionier der Industrialisierung – führend auf allen Gebieten. Heute sind vom alten Glanz nur noch die Ölförderung und eine aufgeblähte Finanzindustrie übrig geblieben.

    Die Auswirkungen einer solchen Politik sind absehbar und schon jetzt unübersehbar. Sobald die industrielle Basis weitgehend ausgelagert und auch die Spitzenindustrie in Gefahr ist (das gilt heute z.B. für die deutsche Solarindustrie, die von chinesischen Billigprodukten immer stärker bedrängt wird), wird eben an anderer Stelle des Globus gearbeitet und verdient. Dort werden Arbeit und Einkommen geschaffen (Die Arbeitslose Gesellschaft). Gewiss, die Exportindustrien haben Arbeitsplätze bei uns geschaffen – in propagandistisch gemeinten Expertisen ist davon ausgiebig die Rede -, aber dass die mit dem Export bezahlte Schwemme von Billigprodukten eine viel größere Zahl inländischer Arbeitsplätze vernichtet hat, wird geflissentlich ausgeklammert. Die Auslagerung unserer Industrien in schnell wachsende Schwellenländer hat der ökonomisch führenden Schicht Profite beschert, die sie im Inland niemals erzielt haben würde.

    Zurück zu unserer Anfangsfrage, wer steckt dahinter?
    Fassen wir zusammen: Seit zweihundert Jahren hat der technische Fortschritt Arbeit und Einkommen in gigantischem Umfang geschaffen. Wie konnte es dazu kommen, dass die Wahrheit auf den Kopf gestellt wurde, und wirklichkeitsblinde Propheten heute mit der Botschaft hausieren gehen, dass eine fortschreitende Automation bald alle Bürger mittellos auf die Straße treibt?

    Das ist die gleiche Frage wie oben: Wie konnte es dazu kommen, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts und noch bis in die Nazizeit so viele Menschen an den Wahn vom fehlenden Lebensraum glaubten? Wie konnte diese uns heute so abwegig erscheinende Vorstellung zu einer fixen Idee gerinnen und so viele Köpfe vernebeln?

    Der Grund blieb den meisten Menschen damals verborgen. Heute liegt er mit aller Deutlichkeit zu Tage. Es lag im Interesse der Mächtigen, das Volk mit solchen Vorstellungen gegen die Nachbarn aufzubringen, die es angeblich in seiner Entfaltung behinderten. Man stellte die Bereitschaft zum Krieg her.

    Das Motiv für den zeitgenössischen Wahn vom automationsbedingten Wegsterben der Erwerbsarbeit ist vielleicht nicht ganz so gefährlich, aber honoriger ist es auf keinen Fall. Denn auch dieser Wahn ist das Ergebnis einer erfolgreichen Indoktrination. Eine kleine Schicht, die für das Elend verantwortlich ist, hat ein unmittelbares Interesse daran, sich selbst aus der Schusslinie zu bringen und stattdessen einen Strohmann aufzurichten. Das ist ihr bestens gelungen. Viele ansonsten der Vernunft durchaus zugängliche Menschen, sind auf das Märchen hereingefallen und tragen nun ihrerseits emsig zu dessen Verbreitung bei. Einige von ihnen, wie Götz Werner, haben darauf sogar eine moderne Erlösungslehre begründet, andere, wie der Politiker Jörg Gastmann, eine Partei (die DDP) und ein eigenes Wirtschaftskonstrukt (das sogenannte Bandbreitenmodell).

    Historiker wissen um die außerordentliche Macht der Verführung, die von einer ökonomisch und politisch mächtigen Schicht ausgeht. Wie oft ist es dieser nicht schon gelungen, einen Teil ihrer Subjekte mit Geld und Versprechen zu ködern und sogar als Söldner gegen den Rest der Bevölkerung einzusetzen! Étienne de la Boétie, ein Freund des Renaissance-Philosophen Montaigne, vertrat die Ansicht, dass das Volk sich seiner Unterdrückung nur bewusst werden müsse, dann würde im selben Augenblick die Herrschaft der Mächtigen in sich zusammenbrechen.

    Das ist leider ein gar zu optimistischer Glaube. Die Herrschaft hat den ganzen Apparat der Propaganda in ihrer Hand, sie kauft ihn und spielt virtuos auf seiner Klaviatur. Den oberen zehn Prozent ist es so gelungen, das Märchen vom Ende der Erwerbsarbeit zu verbreiten. Mit eklatantem Erfolg! Eine ganze Heerschar von Erfüllungsgehilfen, Abnickern, Wasserträgern und geborenen Söldnernaturen bis hin zu schlichten Schwarmgeistern und Einfaltspinseln zottelt seitdem als dienstfertige Gefolgschaft brav hinter ihrem Zuchtmeister her (Das Pyramidenspiel). Nur in Amerika scheint es derzeit ein Erwachen zu geben.

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